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„Der Integrationsrat hat eine Brückenbauer-Funktion“

08.07.2020 / 19:35 Uhr — Stadt / bs

Pressefotos
Foto: Stadt Dormagen Erik Lierenfeld und Mehmet Güneysu im Gespräch
Erik Lierenfeld und Mehmet Güneysu im Gespräch
Am Sonntag, 13. September, findet nicht nur die Kommunalwahl statt. Auch der Integrationsrat der Stadt Dormagen wird neu gewählt. Im Gespräch beantworten Bürgermeister Erik Lierenfeld und Mehmet Güneysu, Vorsitzender des Integrationsrats, Fragen und erklären, was aus ihrer Sicht eine erfolgreiche Integration ausmacht und wo künftige Handlungsfelder liegen.

Herr Güneysu, was bedeutet Integration für Sie?

Mehmet Güneysu: Gelungene Integration bedeutet für mich, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. Sie bedeutet die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses, wie man in der Gesellschaft zusammenlebt.
Zuwanderung kann deshalb nur als wechselseitiger Prozess gelingen. Sie setzt die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus – wie auch die Bereitschaft der Zugewanderten, die Regeln des Aufnahmelands zu respektieren und sich um die eigene Integration zu bemühen. Wenn wir auf allen Ebenen von einem „Wir“ sprechen können und von „unseren“ Problemen reden. Wenn wir gemeinsam lachen und auch gemeinsam trauern können. Wenn wir so weit kommen, dass alle zusammen für die deutsche Nationalmannschaft mitfiebern können. Wenn wir ein gemeinsames „Wir-Gefühl“ entwickeln und nicht die gesellschaftlichen Probleme ethnisieren.

Erik Lierenfeld: Integration ist die Arbeit daran, dass es irgendwann nicht mehr notwendig ist, zu wissen wie es ist, mit Migrationshintergrund in Deutschland zu leben. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Dinge, die uns unterscheiden, dazu nutzen können, uns zu vereinen. Das ist in einer Situation, wie wir sie jetzt haben – mit einer Pandemie und den USA vor einer inneren Zerreißprobe – wichtiger denn je. Denn wir sehen gerade, wie zerbrechlich Gesellschaften sein können.

Warum ist es so wichtig, dass sich Migrantinnen und Migranten sich im Integrationsrat engagieren?

Lierenfeld: Weil der Integrationsrat für sie ein wichtiges Gremium ist, um unmittelbar und direkt an Politik teilhaben zu können. Und sehr konkret. Es geht darum, die Stadtgesellschaft aktiv mitzugestalten und Probleme zu lösen. Das ist im Übrigen keine Einbahnstraße. Auch die Politik braucht den Integrationsrat als kompetenten und authentischen Impulsgeber und Diskussionspartner für die Themen, die gerade wichtig sind.

Güneysu: Das stimmt, der Integrationsrat hat im politischen Alltag eine Brückenbauer-Funktion und trägt dadurch eine besondere Verantwortung. Wer sich im Integrationsrat engagiert, hat auch eine Vorbildfunktion, weil es natürlich auch darum geht, anderen Menschen Mut zu machen, sich ebenfalls für die Gesellschaft zu engagieren.

Wo sehen Sie integrationspolitisch die größten Herausforderungen der nächsten fünf Jahre?

Güneysu: Integrationsarbeit ist wie ein Stuhl. Der wackelt, wenn ein Bein fehlt. Daher sind alle Themen wichtig. Konkret gibt es aber mit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse, der Überwindung struktureller Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und in allen anderen Lebensbereichen oder der Mehrsprachigkeit einige Themen, die uns ganz sicher beschäftigen werden.

Lierenfeld: Ich denke, dass es integrationspolitisch eine Riesenherausforderung ist und bleibt, den Menschen, die zu uns gekommen sind, eine echte Perspektive zu bieten. Nur wenn wir dabei erfolgreich sind, wird es uns gelingen, Parallelgesellschaften zu verhindern. Mehmet Güneysu hat es eben gesagt: Wir, das sind wir alle. Der Integrationsrat ist Anlaufstelle und Sprachrohr für alle Menschen mit Migrationsgeschichte. Und für soziale Vereine, Verbände und Ehrenamtliche, die sich für die Belange von zugewanderten Menschen einsetzen. Im Mittelpunkt – auch meiner Arbeit als Bürgermeister –stand und steht weiterhin die Verbesserung der beruflichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Teilhabe dieser Menschen.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine Gruppe, die im Integrationsrat bislang unterrepräsentiert ist?

Güneysu: Menschen aus Russland und Polen sind – genauso wie Frauen insgesamt – leider unterrepräsentiert.

Lierenfeld: In Dormagen leben Menschen aus mehr als 100 unterschiedlichen Ländern. Genau diese Vielfalt soll abgebildet werden, wir möchten aus all diesen Gruppen Menschen finden, die politisch interessiert sind und sich einbringen wollen. Nicht nur aus zwei bis drei Ländern.

Wie lassen sich am besten aktive Mitglieder für die Arbeit im Integrationsrat gewinnen?

Lierenfeld: Das ist genau die Frage, die wir uns stellen. Und die stellen ja nicht nur wir uns, sondern auch andere Organisationen: Parteien, Vereine, ehrenamtliche Initiativen. Wir alle sind auf Menschen angewiesen, die sich nachhaltig engagieren möchten. Und deshalb versuchen wir diese Menschen so zielgenau wie möglich anzusprechen und abzuholen.

Güneysu: Es gibt keine Patentlösung. Unter der allgemeinen Politikverdrossenheit leidet natürlich auch der Integrationsrat. Viele, mit denen ich spreche sagen mir: Ich bin Integriert. Ok, sage ich, umso besser. Denn es geht hier nicht darum, sich selbst zu integrieren. Sondern darum, diesen Prozess politisch zu begleiten. Da können Erfolgsgeschichten nur helfen.

Wenn Sie zurückdenken an Ihre erste Zeit als Integrationsrat, Herr Güneysu: Gab es in Dormagen damals etwas, von dem Sie unbedingt wollten, dass es sich ändert – und hat es sich geändert?

Güneysu: Wir haben uns seit jeher sehr stark für Mehrsprachigkeit und gegen Rassismus und Diskriminierung eingebracht. Manchmal habe ich aber das Gefühl, es wirkt genau umgekehrt. Ich musste die Erfahrung machen, dass rechte Einstellungs- und Verhaltensmuster neue Formen annehmen. Wenn Menschen mit Migrationsgeschichte pauschal und kollektiv für alle möglichen negativen gesellschaftlichen Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, dann löst man keine Probleme, sondern ethnisiert sie.

Lierenfeld: Integration ist ein komplexer Prozess. Und er funktioniert nur dann, wenn wichtiger wird, wo Menschen hinwollen, als die Frage, wo sie herkommen. Und wenn wir uns als Gesellschaft dazu entscheiden, dass Menschen mit Migrationshintergrund zu uns gehören und wir sie das auch spüren lassen. Ich glaube, dass wir hier in unserer Heimat Dormagen schon einiges bewerkstelligt haben. Nehmen Sie nur das Sommerfest des Integrationsrats, das zu einer echten Institution der Begegnung und des interkulturellen Austauschs geworden ist. Zugleich liegt noch ein weiter Weg vor uns. Auch, weil wir in Zeiten von social distancing auf solche Formate der Begegnung gezwungenermaßen werden verzichten müssen. Aber Heimat bedeutet für mich eben immer Einladung – nicht Ausgrenzung! Diese Botschaft werden wir weiter in den Mittelpunkt stellen – nun eben auf anderen Wegen.
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