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Erschütternde Erzählungen der Ghetto-Häftlinge - Jugendliche hören im Raphaelshaus gebannt zu

16.09.2007 / 13:58 Uhr — Annette Höpfner

Pressefotos Dormagen. „Das Leben ist kostbar – sei dankbar und genieße es!“ So lautete die Botschaft, ohne unangenehm mit dem erhobenen Zeigefinger daher zu kommen. Diese Botschaft ehemaliger Ghetto- Häftlinge im 2. Weltkrieg galt den Jugendlichen des Jugendhilfezentrums Raphaelshaus, denen sie Teile ihrer Lebensgeschichten erzählten. Spannung, Erstaunen, Trauer, Scham und Schwere, aber auch Freude, Herzlichkeit, Verantwortung, Dank und gelebter Glaube erfüllte den Raum für einen Nachmittag.

Erstaunlich, dass sich so unterschiedliche Menschen in zwei Stunden so nahe kommen können – das ist wohl der erste Gedanke aller. Auf der einen Seite die 17 Jungen aus dem Jugendhilfezentrum und auf der anderen Seite ihre Besucher, die jüdischen Ghettoüberlebenden aus Weißrussland. Sie könnten ihre Großeltern sein, die drei alten Damen und der fast 70-jährige Mann. Sie wohnen in einem fremden Land, sprechen eine fremde Sprache und sind mit einem Übersetzer angereist, um den jungen Menschen hier von ihren unglaublich schlimmen Erlebnissen zu erzählen.

Als kleine Kinder lebten sie einige Jahre in russischen Ghettos, zusammengepfercht mit ihren Familien, gepeinigt von nationalsozialistischen Gewalttätern. Sie berichten von Hunger, Kinderarbeit, Kälte, Erschießungen, Mutlosigkeit und der allgegenwärtigen Angst. Keiner von ihnen dachte damals, dass er diese Zeit überleben würde und doch schöpften sie immer wieder neuen Mut und neue Kraft weiter zu kämpfen. Einige konnten flüchten und bei Partisanen unterkommen, andere haben ihr Leben nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, der Gnade des Wachpersonals oder der Müdigkeit der Soldaten des Erschießungskommandos. Die Geschichten sind manchmal so traurig, dass ein Raunen durch den Raum geht, einige Zuhörer schlucken und stille Fassungslosigkeit einkehrt. Gebannt hören die Jungen zu – tabulos erzählen die alten Menschen und stellen sich den neugierigen Fragen. „Haben Sie ihre Familie wieder gesehen?“ möchte ein Junge wissen. „Warum hat die Frau Ihren Vater verraten?“ und „Wie haben sie es geschafft mit den Erlebnissen noch glücklich weiterzuleben?“

All diese Fragen bleiben nicht unbeantwortet. Und aus allen Antworten strahlt eine Lebensfreude und Dankbarkeit, die die Raphaelshaus-Kinder fasziniert und erstaunt. Sie wundern sich nicht nur, dass diese Menschen sich nach diesen Erlebnissen noch einmal nach Deutschland trauen und bereit sind so viel zu erzählen. Die Jugendlichen staunen auch über die Freundlichkeit und die natürliche Religiosität, die bei den russischen Besuchern zu spüren ist. Sie sind nicht verbittert, haben keinen Zorn. „Gott hat mich geführt und wir haben überlebt,“ sagt Zoja O. aus Minsk. Und Larisa K. aus Witebsk ergänzt: „Als wir am Abgrund standen, damit rechneten, bald erschossen zu werden, da waren wir dem Tod sehr nahe. Danach habe ich verstanden, wie kostbar das Leben ist. Es ist ein großes Geschenk Gottes, dass man den Sonnenaufgang genießen kann.“

Die alten Menschen mit ihren beim Erzählen sehr greifbaren Erlebnissen haben bei den Jungen eine hohe Glaubwürdigkeit. Und so wirken auch die guten Wünsche zum Schluss und der herzliche Abschied nicht wie bloße Worthülsen, sondern wie echte Herzenswünsche: „Wenn ich heute in eure fröhlichen Gesichter schaue, dann tut es mir sehr gut und ich freue mich, dass ihr in einer anderen Zeit lebt. Das muss man sehr schätzen. Ich wünsche mir, dass Ihr glücklich und groß werdet und gut und kräftig aufwachsen könnt“, sagt Jakow M. zum Abschied. Die Begegnung fand Dank der Vermittlung des Maximilian-Kolbe-Werkes statt. Dieser Verein widmet sich seit seinen Anfängen 1973 der Verständigung und Versöhnung zwischen den KZ- und Ghetto-Häftlingen und dem deutschen Volk. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei der persönliche Kontakt von Mensch zu Mensch.
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